Aufenthaltstitel, Schwippschwager und Schneegestöber – eine Ehrenamtliche erzählt aus dem sprachraum

Was bedeutet „Anstand“? Der Herr mit persischer Muttersprache ist hartnäckig. Fast jeden Tag sitzt er hier und büffelt lange Listen mit Satzkonstruktionen. Jetzt versuche ich, ihm die subtilen Bedeutungsebenen von „anständig“ in der deutschen Sprache und dann noch den Begriff aus der Jägersprache zu vermitteln. Ganz schön knifflig, wir schauen schließlich sogar in das gute alte Wörterbuch der Gebrüder Grimm, um uns gemeinsam über die Wortherkunft schlauer zu machen.
Der sprachraum als Angebot der Stadtbibliothek wird täglich nachmittags von einem Team aus zwei Ehrenamtlichen betreut – das bedeutet in erster Linie eine Art „Aufsicht“ über den Raum, verbunden mit Beratung, wo sie gewünscht wird. Und sie wird gewünscht! Am Anfang hatte ich mir noch manchmal etwas zum Arbeiten und mein eigenes Notebook mitgebracht, oder mit meiner Partnerin geplaudert. In letzter Zeit hingegen sitzen wir fast mit der Stoppuhr in den Gesprächen, weil es schon eine kleine Schlange von Wartenden gibt, die ein Anliegen haben. Die Themen sind vielfältig, und es sind längst nicht nur Refugees, die den sprachraum nutzen, sondern eben generell Menschen, die Deutsch lernen. Ob aus Syrien, der Ukraine, Eritrea oder Taiwan.

Ehrenamtliche helfen beim Deutschlernen im sprachraum

 
Ich lerne, du lernst, er sie es lernt …
Und manchmal ist es nicht nur Deutsch: einmal saß ich mit einem jungen Mann mit französischer Muttersprache zusammen, der einfache deutsche Konjugationen („Ich lerne, du lernst, er sie es lernt …“) aufschrieb, und immer eine Zeile frei ließ. Mein mageres Französisch reichte so grade, um mich mit ihm halbwegs zu verständigen. Als er zwei Seiten vollgeschrieben hatte, sagte er: „können wir das jetzt bitte noch in Englisch machen, das muss ich auch noch lernen“. Damit füllten wir dann die leeren Zeilen, und mein Kopf war verknotet zwischen Englisch und Französisch.
Die Stadtbibliothek versorgt den sprachraum mit einem großen Angebot an Lernmaterial, doch die meisten Lernenden bringen inzwischen eigene Arbeitsblätter oder Übungshefte aus ihren verschiedenen Deutschkursen mit. In den unteren Stufen ist das meist ein Lückentext, in höheren Kursen müssen auch schon mal fiktive Heiratsanzeigen aus der Zeitung verstanden und miteinander „verkuppelt“ werden. Die Lehrbücher vermitteln mal mehr, mal weniger aufdringlich auch die deutsche Kultur und Lebensart; bei manchen Übungen muss ich mit meinen Gegenübern regelmäßig schmunzelnd den Kopf schütteln.
Ich bin (erst) seit September 2016 im Team des sprachraums dabei, nachdem ich eine Weile gesucht hatte, was die in mein Leben passende Form des ehrenamtlichen Engagements für Refugees sein könnte. Sprachen und der Umgang mit Menschen liegen mir, deshalb fühlte ich mich hier von Tag 1 an zuhause. Es herrscht eine ruhige Lernatmosphäre, manchmal etwas wuselig, wenn alle Tische besetzt sind, aber immer von gegenseitigem Respekt und Freundlichkeit geprägt. Und neue Themen im Minutentakt.
 
Schwippschwager oder Gegenschwieger?
Zwei höfliche junge Herren stehen vor dem Schreibtisch und haben eine wichtige Frage: Wie nennt man im Deutschen die Eltern der Schwägerin, also der Frau meines Bruders? Hmmm … nicht mal Wikipedia kann hier helfen, aber ich lerne, dass komplexe Familienbeziehungen anderswo eigene Vokabeln haben, und auch ein neues Wort im Deutschen: „Gegenschwieger“ (das ist es aber nicht).
Ein schönes Erlebnis hatte ich mit einer jungen Frau, die sprachlich schon recht fortgeschritten war und als Hausaufgabe eine Rezension der Tschick-Verfilmung schreiben sollte. Sie hatte das Buch dabei und wir verbrachten eine halbe Stunde damit, über die schönsten Stellen in Roman und Film zu sprechen. Am Ende konnte sie ihren Text dann ganz alleine schreiben und ich ein Tränchen für den wunderbaren Wolfgang Herrndorf verdrücken.

 
Zu Hause oder zu Hause?
Über die Zeit hört man sich ein wenig in die Sprachen ein, die unsere Nutzerinnen und Nutzer untereinander sprechen. Lustig und typisch, wenn dann mitten drin schon deutsche Wortbrocken vorkommen. Bei „Jobcenter“ oder „Aufenthaltstitel“ ist klar warum, überrascht war ich jedoch zunächst, als ich plötzlich das Wort „zu Hause“ hörte. Bis ich verstand, dass die Kölner Flüchtlingsunterkunft gemeint war, im Gegensatz zu dem wirklichen Muttersprach-Zuhause, aus dem die Sprechenden geflüchtet waren.
Die Menschen im sprachraum – Lernende und Ehrenamtliche – sind so verschieden, wie Menschen eben verschieden sind. Die Begegnungen sind wegen des nur zweiwöchentlichen Einsatzes oft flüchtig: jemand will nur noch schnell für den letzten Test pauken oder braucht Unterstützung bei einer Mail ans Amt. Oder Hilfe beim Korrekturlesen des Praktikumsberichts. Oder eine Beratungsstelle für ein spezielles Problem am Arbeitsplatz. Oder moralische Unterstützung, weil die unfassbar unlogische deutsche Grammatik echt frustrierend sein kann …
Manchmal bauen sich aber auch winzige Beziehungen und Erfolgsgeschichten auf, wenn Du in einem Monat mithilfst, im Internet eine Weiterbildung zu buchen, und nach drei Monaten hörst, dass es mit dem festen Job jetzt geklappt hat. Und dann trotzdem noch so schöne deutsche Worte wie „Straßenschlacht“ und „Schneegestöber“ erklären darfst. Das Leuchten in den Augen ist dann gegenseitig.

Dieser Gastbeitrag stammt von einer unserer ehrenamtlichen Helferinnnen, die auf Twitter als @colognella unterwegs ist.
Wer selbst im sprachraum aktiv werden möchte, ist uns herzlich willkommen. Wir suchen laufend ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Zu den Aufgaben gehören Auskünfte über die Angebote des sprachraums und der Stadtbibliothek und weiterführende Hinweise auf Beratungsstellen. Auch Hilfe bei Fragen zur deutschen Sprache sowie bei der Auswahl von Lernmöglichkeiten sollen angeboten werden. Der Einsatz erfolgt alle 14 Tage für 4 bis 5 Stunden. Auch die regelmäßigen Veranstaltungsformate des sprachraums freuen sich immer mal wieder über neue ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Momentan hat “Tandem – Deutsch lernen zu zweit” Bedarf.
Alle Informationen zum sprachraum und die Kontaktdaten für angehende Ehrenamtler findet ihr auf www.stbib-koeln.de/sprachraum.
 

2 Antworten auf „Aufenthaltstitel, Schwippschwager und Schneegestöber – eine Ehrenamtliche erzählt aus dem sprachraum“

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