Quadratisch, praktisch, aber nichts für ungut…


…lieber Werbetexter, der Du diesen dämlichen Spruch gefunden hast (s. Bild). Für die Schokolade, die jetzt allen per Kampagne noch einmal richtig schmackhaft gemacht werden sollte. Zumindest allen, die in den letzten Wochen auf einem großen deutschen Bahnhof wartend herum standen.
Dabei ist schon fast jede fünfte Tafel Schokolade, die in Deutschland verzehrt wird, viereckig. So richtig verständlich ist die Werbung aber nur, wenn man ihre Geschichte kennt. Vor 99 Jahren heirateten Clara und Alfred Ritter. Sie brachte einen Süßwarenladen, er eine Konditorei mit in die Ehe. Erstes gemeinsames Kind noch im gleichen Jahr waren die die “Alfred Ritter Schokoladenfabriken”.  1932 ärgerte sich Clara, dass bei ihren Reitausflügen immer die Schokoladentafeln in ihrer Jackentasche brachen. Prompt erfand der Gatte eine dicke, bruchfeste Variante. Geboren war “Ritters Sportschokolade”, heute als “Ritter Sport” ein Begriff. Als Ende der sechziger Jahre, die Deutschen einer Fresswelle erlagen und plötzlich auf ihre Figur achteten, ging der süße Umsatz zurück. Prompt erfanden die Rittersleut’ 1969 eine neue Marketing-Strategie: “Ritter Sport ist eher ein Nahrungsmittel. Diese Schokolade wird nicht aus Kummer im stillen Kämmerlein gegessen und schon gar nicht gelutscht. [Sic!] In die Ritter Sport wird hineingebissen und zwar herzhaft.” An dieser Philosophie der krachenden Zähne hat sich bis heute nichts geändert.
“Für den Verzehr in Kirchen, Opern und Bibliotheken leider zu knusprig.” Der Appell an die genussfrohen Schokobeisser paart sich mit leicht hämischem Bedauern für das Publikum, welches an den erwähnten Orten zum vermeintlichen Schweigen gebracht wird. Keks und Nuss passen nun mal nicht zu Gebet, Gesang und Lesen, so die message  sportlicher Kalorienzufuhr.
Berücksichtigt man nun noch die Auswahl und Reihenfolge dieser Orte der Stille, könnte man auf die Idee kommen, dass es in den Bibliotheken  totenstill zugeht. Das geht uns nun wirklich auf beides, Keks und Nuss! Und  dem Texter dieser Werbezeilen wird dringend empfohlen, tatsächlich mal eine Stadtbibliothek aufzusuchen, um sich endgültig von diesem Klischee zu befreien, anstatt es zwanghaft wieder zu beleben. Und alle Schokoladenfans sind hiermit aufgerufen, ihrem zivilisierten Schokogenuss  auch in der Bibliothek zu frönen. Muss ja nicht die Viereckige sein.

gp

Quelle:
Wolfgang Hars:  "Nichts ist unmöglich! Lexikon der Werbesprüche"
in der Zentralbibliothek unter der Signatur Qen 2 Hars

Eine Antwort auf „Quadratisch, praktisch, aber nichts für ungut…“

  1. Im Artikel entsteht der Eindruck, die Fresswelle sei erst Ende der 60er über uns Deutsche gekommen. Dem ist nicht so: http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Bundesrepublik_Deutschland_%28bis_1990%29#Wirtschaftswundergesellschaft
    Was hingegen durchaus sein kann: Die Leute reagierten erst mit Verzögerung auf die Verfettung und fragten dann erst entsprechende Produkte nach, bzw. Schokolade eben nicht mehr. Was sich erst 10 Jahre später in der neuen Marketing-Strategie äußert.

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