Philosophierende Radler: Erwarte das Unerwartete

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Ein philosophisches Buch steht bei uns unter der Signatur X (= Sport) im Regal? Der Titel „Die Philosophie des Radfahrens” lässt nicht zwingend schlussfolgern, dass die „Liebe zur Weisheit” dort gut aufgestellt ist. Jedoch – näheres Hinsehen bestätigt die Lektoratsentscheidung. Neun der 15 enthaltenen Essays befassen sich mit Radrennen und Nachdenklichkeit über Hochleistung bis hin zum Doping.

In drei weiteren Texten führen extreme Touren (ein Autor radelt täglich 22 Kilometer zur Arbeit nach Reykjavik) zu tieferen Erkenntnissen. Bleiben zwei eher verkehrpolitische Betrachtungen: eine über die Critical-Mass-Bewegung und eine über die Gründe, warum Kopenhagen, das Radlerparadies ist. Die Vertreibung aus Letzterem beklagt Maximilian Probst, der auf einem klappernden Holland-Rad durch die Stadt rollt. Ihm verdanken wir den Gedanken, dass wir durchs Strampeln, dem Treten in die Pedale, uns daran gewöhnen, den Körper aus eigener Kraft von A nach B zu befördern „immer auch, um ihn selbst zu bewegen, er ist nie nur ein Mittel (dafür da, um unseren Geist in die Bibliothek zu lotsen), er ist immer auch Zweck in sich. Das Fahrrad trägt dem Rechnung.”

Schön, dass da einer mal erkannt hat, wofür Bibliotheken gut sind und wie man sich ihnen nähern sollte!

Die erhellensten „philosophischen Lektionen” verpasst uns Steven D. Hales, Philosophie-Professor aus den USA, der sich neben so langweiligen Themen wie Erkenntnistheorie und Metaphysik mit den spannenderen Beziehungen zwischen Bier, Katze, Hund und Philosophie beschäftigt. Und mit dem Fahrrad, das ihm sechs deutliche Mahnungen erteilt.

Er schlägt den Bogen von Platon zur Pedale. Im Höhlengleichnis halten die Gefangenen die Schatten an der Wand für die Wirklichkeit. Philosophie holt uns aus der Höhle. Auf dem Fahrrad können wir heraus fahren. Hales schwingt sich auf den Sattel, völlig unerfahren wagt er sich auf 152 km bergiger Strecke. Nietzsche folgend, der meinte, dass nichts von Wert leicht zu erreichen sei. Bei einer anderer Tour überholt ihn Thoreau, der in „Walden” empfiehlt: „Warum sollen wir in solcher Eile, solcher Lebensverschwendung leben?” Am eigenen Leibe prüft Hales Argument für Argument. Etwa Descartes, für den Weisheit uns zum Herrn der Leidenschaften macht, auf „dass die Übel, welche sie bringen, sich leicht ertragen lassen.”

Setzt mit Hume dagegen, dass die „Vernunft nur Sklave der Affekte ist“. Stoiker Epiktets Ideal der Unerschütterlichkeit lässt ihn Stürze vom Rad unbewegt von Gefühlen ertragen. Wie Grübler Kierkegaard findet er gar Gefallen an Schwierigkeiten. Wiederum Hume bringt ihn davon ab, Erfahrungswerten zu trauen. „Erwarte das Unerwartete”, weissagt ihm diese die Lektion. Dabei lernt er viel über Einfallsreichtum und Selbstgenügsamkeit. Die letzte Etappe führt ihn nach Delphi und zur Freude an der Selbsterkenntnis.

Dies sind kleine Streifzüge aus 206 Seiten philosophischer Streckenführung, alle verbindend der Nietzsche-Rat, „keinem Gedanken Glauben zu schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung, – in dem nicht auch die Muskeln ein Fest feiern.”

gp

 P.S.: Für Herausgeber Peter Reichenbach „verändert Radfahren unsere Sicht auf die Welt”. Nektar saugen vermutlich eher die Radelnden aus diesem Buch. Wen es allerdings motiviert, die enthalten Weisheiten auf dem Drahtesel zu überprüfen, dem sei „Unerwartetes” garantiert.

 Die Philosophie des Radfahren. Mairisch Verlag 2013. Signatur: Xas Philosophie des

 Hier der komplette Text von Maximilian Probst.

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