Til Strasser fasst unsere dritten Vergraemungen eigentlich ganz gut zusammen. Bloß: Welcher Geisteszustand gehört zu welchem Twitterer? Wer ist denn jetzt der bekloppteste? Darüber soll dieser kurze Nachbericht Auskunft geben.
Teppiche am Nordpazifik für die Medienwissenschaft
Herr @geruchtekellner ist im echten Leben Medienwissenschaftler und schreibt seine Dissertation über Twitter. Genauer gesagt: Er untersucht mit den Methoden der Ethnographie, wie das Sozialleben von Twitterern online und offline funktioniert. Nur ohne Tropenhut.
Einen Schwank aus ebendieser Doktorarbeit verlas er. Das war intellektuell anspruchsvoll, weil wissenschaftlich – aber auch erbaulich, weil unterhaltsam. Wer würde angesichts von awkwarden Offline-Treffen mit Twitterern wie @BillyGerwitz schon von “Kippfigürlichkeit” der Medienrepräsentation sprechen? Eben: ein Kulturwissenschaftler. Und zwar einer, der behauptet, @BillyGerwitz habe “DEN Bahn-Tweet schlechthin” geschrieben.
Wir möchten ihm zustimmen, ja!, stets nickend, aber nur die Hälfte verstehend. Doch soviel ist angekommen: Wenn sich Indianer am Nordpazifik zum Potlatch getroffen und Geschenke ausgetauscht haben ist das im Prinzip wie bei Twitter – dort werden nämlich Favorites und Retweets ausgetauscht. Geradezu kartellhaft. Als Gabe, die eine Gegengabe impliziert. Danke, wir haben was gelernt!
Dramen im #printtwitter
Frau Wibke “@sinnundverstand” Ladwig hat ein Hobby: Jeden morgen blättert sie sich durch den Kleinanzeigenteil der Zeitung und forscht nach Skurrilem, Lustigem oder fast ekelhaft Romantischem. Das Substrat gibt es dann unter dem Hashtag #printtwitter zu lesen.
Und ein Best-Of des Best-Of zeigte uns die selbsternannte Social Media-Rangerin am Montag. Man kann sich durchklicken – das ist für sich genommen schon lustig genug, aber dann fehlt einem Wibkes fantastischer roter Faden, der die sonst so kryptischen Kurztexte in zwischenmenschliche Dramen verwandelt. Karin und Wolfgang, wir werden euch nicht vergessen.
Und was lernen wir daraus? Getwittert wurde offenbar schon immer – nur halt nicht im Internet, sondern auf Klowänden oder in der Zeitung. Und Höhlenmalerei gilt als frühes Instagram.
Düsentriebesquer Professor
Ziemlich akademisch, diese Vergraemungen: Stephan Porombka heißt auf Twitter @stporombka und ist eigentlich Professor für Texttheorie und Textgestaltung an der Universität der Künste Berlin. Und zur Stunde hat er den Twitteraccount der ZEIT gekapert und tritt dort u.a. in Unterhosen aus Totholzmedien auf. Das ist beispielhaft, denn mit seinen Experimenten lotet er die Grenzen aus zwischen neuen und alten Medien. Und doch kehrt er, ganz Slapstick, immer wieder zum Buch, zum Papier, zurück.
Uns stellte er einige seiner Erfindungen vor: Ein Fakirstift, der den Schmerz des auteurs auch körperlich erfahrbar macht. Ein Pillendöschen, das die tägliche Lese-Medikation portioniert. Ein Lesezeichen als Vogelschablone, die verhindert, dass einem bei der Lektüre im Park Federvieh gegen’s Haupt donnert. Getragene Bücher, die analog zu den legendären getragenen Höschen aus Japan, den Flair der Körperlichkeit zum Leser bringen. Und – ganz wichtig – fein gehackter Bücherstaub verschiedenster Couleur, der Nasenschleimhäute und Sinne betört. Danke für das beeindruckende Sammelsurium.
Verquarzte spanische Liebhaber
Frau @Menschette ist Urgestein der Vergraemungen, wenn man so will. Gewohnt gelassen verlas sie zwei wundervolle Texte – und beide Male fragt man sich wieder, wieviel Realität denn nun letztlich dran ist an Frau @Menschette. (Wahrscheinlich verstörend viel.)
Zunächst handelte sie ihre kindliche Sozialisierung zur Tabakkonsumentin ab. Ihrer Biographie nach wurde sie von Kindesbeinen an behutsam an Quarzware jedweder Sorte herangeführt, nur um dann an ihren Erzeugern vorbeizuziehen, was Toleranz und Konsum betrifft. Stolz! Und heute? Raucht sie nicht mehr.
Themenwechsel hin zu Jorge: Eine spanischstämmige Liebschaft, von der wir auch nur rätseln können, ob sie tatsächlich existiert. Vor lauter Begeisterung habe ich vergessen, worum es im Detail ging, aber es war wirklich ganz vorzüglich (ehrlich!). Danke, @Menschette.
Köln, Tauben und Tauben in Köln und anderswo
@pigeonista heißt in Wirklichkeit Anne Weiß und hat sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Ebendieser macht zwar unsterblich, enthält aber nicht, dass Anne Tauben hasst. So ähnlich wie @Vergraemer, nur irgendwie gefährlicher. Und so erzählt sie aus ihrer Kölner WG-Zeit, in der Freundin Jutta ihr zu schlichter Meditation rät, um dem Taubenproblem Herr zu werden – aus sich selbst heraus. Und Gewaltfrei. Der Plan geht auf, allerdings ein bisschen zu gut. Denn am Ende kennt Anne mehr Tauben als echte Menschen. Und hat praktisch keine Freunde mehr.
Immerhin: Ohne Freunde hat man mehr Zeit, um seinem leicht gruseligen Hobby Taubenfotografie nachzugehen. @pigeonista ergänzt ihre Instagram-Wunderwerke sodann mit entsprechenden Textfetzen – und das macht dann wirklich großen Spaß. Kann man nicht erklären, müsst ihr euch angucken.
sa
Ihr könnt euch noch auf Videos der Lesung freuen. Noch läuft die Bearbeitung, aber sobald die Clips veröffentlichungsreif sind, editieren wir den Blogeintrag an dieser Stelle.
Einen völlig gramfreien Dank an den großartigen @vergraemer, der uns durch den Abend geführt hat, und an das Hochschulradio KölnCampus für die liebe Unterstützung!
PS: Die Vergraemungen waren Teil der Veranstaltungsreihe geeks@cologne der Stadtbibliothek Köln. Alle Infos auf www.geekscologne.mixxt.de. Als nächste Veranstaltung folgt am 20. Juni der 3Day: einer Aktionstag voller 3D-Drucker, 3D-Scanner und VR-Brillen!
Eine Antwort auf „#graem3: Zwischen Medientheorie und Taubenscheiße“