Wenn sich die Kollegin als Hexe entpuppt

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Kollegin M. sitzt derzeit schon auf ihrem Besen und düst gen Blocksberg. Derweil wir flugs nachlesen, was dort heute Nacht getrieben wird.

Tausende Hexen treffen in der Dunkelheit ein. In Stimmung kommt die Party, so Experte Christian Rätsch, durch Getränke wie „Teufelsblut”, „Mephistotropfen” und „Hexenbier”. Dann wird zu „schriller” Musik getanzt. Irgendwann beginnt, das schrieb schon Heinrich Heine vor fast 200 Jahren „die abenteuerlich verruchte Lust”. Bei Rätsch heißt das „ausgelassene Orgie” und „wildes Treiben”.

Mit offenem Mund (und nicht zitierbaren Erkenntnissen) klappen wir den Buchdeckel zu und warten darauf, was Kollegin M. nächste Woche berichten wird.

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Warum Männer viel Holz vor der Hütte lieben

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„Das Beste ist der Duft. Der Duft von frischer Birke.” Meint Ottar. Ottar ist der Nachbar von Lars. Beide leben in Elverum, Hedmark, nordöstlich von Oslo. Ottar ist ein Rentner aus der „fröhlich-fleißigen Nachkriegsgeneration”. Lars ist Schriftsteller, erst wenige Monate zugezogen. Als Lars mit wachsendem Interesse beobachtet, wie Ottar im April Brennholz stapelt, ist es um ihn geschehen. Er beginnt sich mit Holzfeuerung zu beschäftigen, reist in die kältesten Gegenden Norwegens, spricht mit Holzfällern, Brennholzfreaks, Wissenschaftlern, Technikern und liest alles über Holz, was er in die Finger bekommen kann.

Herausgekommen ist ein Buch, das im skandinavischen Buchmarkt einschlug wie eine Axt in einen Scheit auf dem Hauklotz. „Der Mann und das Holz von Lars Mytting ist eine Liebeserklärung, eine Bibel, ein Stück Poesie, ein pures Lesevergnügen.  Darin verbindet sich traditionelle Praxis mit moderner Werkzeug- und Ofenbaukunst sowie Fakten über die Vorteile erneuerbarer Energie. Vom Fällen des Baumes bis zum Rauch im Schornstein zieht sich eine Perlenkette an sachdienlichen Informationen durch 222 Seiten.

Sägen, hacken, stapeln, trocknen, feuern. Wald, Werkzeug, Hauklotz, Stapel, Ofen. Auf dem Weg durch die Jahreszeiten wird alles betrachtet, verglichen, geprüft und durchleuchtet. Durchaus mit Humor, Philosophie und anekdotengespickt. Literarische Kronzeugen der Wärme aus eigener Hand sind: Henry David Thoreau, Albert Einstein, Knut Hamsun und Hans Børli.

Und wer auch immer dem Geheimnis brennender männlicher Liebe auf die Spur kommen möchte, hier wird er fündig. Hier glüht ein Autor für seinen Stoff und fabriziert das ideale Geschenk für Männer, die wortkarg und in bedingungsloser Leidenschaft für und in der Natur arbeiten. Ein Buch, das wärmt, an dem man instinktiv riecht und meint, es würde nach seinem Inhalt duften. Eine Kulturgeschichte des Holzes für Männer geschrieben.

Bei aller modernen Technik, die vieles erleichtert und sauberer macht, eins wird immer eine Sache des rein manuellen Geschicks bleiben: Der Stapel. Waldmensch und Philosoph Thoreau: „Jedermann blickt gewissermaßen mit Zuneigung auf seinen Holzstoß.”

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Eine der Frauen, die das starke Geschlecht ob seiner Holzleidenschaft beneiden, ist Angela Merkel. Auf die Frage, was sie gerne können würde wie Männer, antwortete sie „Holzhacken”. Und die Beatles sangen in einem ihrer wichtigsten Lieder schon 1965 (ahnungslos ironisch): “So I lit a fire, isn’t it good, norwegian wood?”

Brennendes Holz ist ein Wohlfühl-Faktor, so Lars Mytting : “Feuer bedeutet lebendige Wärme… Flammen und Glut erzeugen dieselbe Infrarotstrahlung wie die Sonne, die Wärme entsteht hier auf der Haut und im Körper.”

 Einen Holzstapel später stirbt Ottar. Ihm verdanken wir dieses Buch. Lars Mytting erkannte Monate zuvor an Ottars Gesicht, „dass er das Holz eigentlich für seine Frau aufstapelte. Sie waren über 50 Jahre verheiratet gewesen…  Am durchsichtigen Rauch, der aus dem Schornstein steigt, erkenne ich, dass das Holz optimal getrocknet ist. Nun wärmt es seine Witwe.”

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Bei uns im Bestand unter der Signatur Tep 2.4 Mytting.

Bild oben: Arne friert im Winter nicht. Kurze und krumme Scheite landen in der Gitterbox. Die langen, geraden werden sorgsam gestapelt.

Bild Mitte: Zofia und Ole schufen diese Skulptur des Komponisten Rossini.

Copyright aller Bilder: Insel Verlag Berlin.

(Weitere schöne Holzstapel auf der FB-Seite zum Buch.)

P.S.: Die 3 Bilder wurden uns freundlicherweise vom Insel Verlag Berlin für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank dafür!

Gierige Bibliothekarinnen und ihre Abgründe

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Bibliothekare sind nicht gerade von Altersarmut bedroht. Zumindest nicht, wenn sie lange genug gearbeitet haben. Gerne könnte es ein bisschen mehr sein, sagt sich auch die Ex-Bibliothekarin Karla Pinter, und unverhofft bietet sich der 60jährigen Rentnerin diese Chance. Kollege Wolfram (todkrank und wie sie im Ruhestand) macht ihr ein großzügiges Nachlassangebot. Im Gegenzug bittet er sie um Sterbehilfe…

Bestseller-Autorin Ingrid Noll (78) bestätigt, dass sie ihre Hauptfiguren gern ambivalent zeichnet. „Ich lebe in einer bürgerlichen, vielleicht sogar etwas spießigen Gesellschaft. Gerade bei den braven grauen Mäusen, die mir ein bisschen ans Herz gewachsen sind, sieht es im Innern oft anders aus!” Als grauste aller grauen Mäuse gilt seit jeher die Bibliothekarin. In ihrem jüngsten Roman “Hab und Gier” erzählt eine von ihnen (Karla) aus der Ich-Perspektive, wie sie in kriminelle Versuchung gerät.

Das Buch lässt sich auch als „Breaking-Bad”-light-Version lesen. Wie der biedere Chemie-Lehrer Walter White aus der US-TV-Serie gerät hier eine ehemals städtische Angestellte auf die rutschige Bahn des Verbrechens. Selbstredend Lichtjahre entfernt vom amerikanischen Drogensumpf. Aber in badischer Beschaulichkeit entfaltet sich ein ähnliches Strickmuster. Vergleichsweise bescheiden giert man im deutschen Heimatkrimi nach Hab und Gut. Ingrid Noll: „Über professionelle Kriminelle oder übers Rotlichtmilieu kann ich nicht schreiben, weil ich mich dort nicht auskenne.”

Da stellt sich aus unserer Sicht die Frage, wie es mit Kenntnis der bibliothekarischen Arbeitswelt aussieht? Zwei Bibliothekarinnen und ein Bibliothekar vermitteln dem Leser Einblicke in ihren Beruf. Von Karla erfahren wir, dass sich eine Bibliothek mit der „Ausleihe und Verwaltung von Büchern” beschäftigt. Sie ist froh vorzeitig aus dem Dienst ausgeschieden zu sein: „Den Kampf mit unbekannten audiovisuellen Medien und immer neuer Software hatte ich längst aufgegeben.” Einziger privater Kontakt ist ihre weitaus jüngere Kollegin Judith, die so Karla: „nicht alles gelesen hat, was sich für eine Bibliothekarin gehört”. Judith mag nur Krimis. Beide verbindet eine tiefe Abneigung gegen Kinder.

Für Bildung im eigentlichen Sinne stehen nur Karla und Wolfram. Sie: „Schon immer fand ich es wunderbar … den Klappentext neuer Klassikerausgaben und frischer Bestseller zu lesen”. Er: “wir zwei kennen unsere Dichter noch aus dem Effeff. Das junge Gemüse heutzutage [gemeint ist Judith] weiß kaum noch wer Möricke ist…”.

Bibliothekar Wolfram wiederum wird von Karla als typischer Bücherwurm gesehen: „weltfremd, versponnen und altmodisch.” Der stille und zurückhaltende Opernfreund war zwar „der einzige Mann unseres Teams gewesen, sozusagen der Hahn im Korb, hatte aber nie den Gockel gespielt, galt eher als Neutrum oder – um im Bild zu bleiben – als Kapaun.”

Das lassen wir alles unkommentiert stehen und erfreuen uns lieber daran, dass sich Karla als immer skrupelloser, Judith energisch kriminell und Wolfram als ein bisschen pervers entpuppt.

Ingrid Noll ist ein flüssig und schlüssig geschriebenes Stück Spannung gelungen, das sich mit viel humoristischer Rabenschwärze in einem Rutsch durchlesen lässt.

gp

P.S.: Wer nach dem Lesen dieses Buches noch mit dem Gedanken spielt, Bibliothekar/in zu werden, dem sei diese Lektüre empfohlen.

Die Neuentdeckung des Himmels

die-neuentdeckung-des-himmels-48491-1Als im Oktober 1995 der erste Planet entdeckt wurde, der nicht die Sonne umkreist, sondern einen anderen Stern, habe ich gerade probiert, mich an der Universität zurechtzufinden. Ich hatte mein Astronomiestudium gerade erst begonnen und viel zu viel zu erledigen, um mich lange mit dieser Entdeckung zu beschäftigen. Ich musste herausfinden, wo die Einführungsvorlesungen stattfinden, musste mich für Übungskurse eintragen, die überall in Wien verteilten Institute der naturwissenschaftlichen Fakultät finden und für die erste Entdeckung einer fremden Welt blieb da kaum noch Zeit.

Im Laufe der folgenden Jahre verlief mein Studium dann nicht mehr ganz so hektisch – die Erforschung der extrasolaren Planeten dagegen nahm nun erst so richtig Fahrt auf. Ich bin ihnen aber erst 1999 wieder richtig begegnet. Mittlerweile hatte ich den Großteil meines Grundstudiums abgeschlossen und arbeitete an meiner Diplomarbeit. Die beschäftigte sich zwar mit Asteroiden, aber die Mitglieder meiner Arbeitsgruppe waren aktiv an der Erforschung der fremden Planeten beteiligt. Damals kannte man gerade Mal ein paar Dutzend Planeten und jede neue Entdeckung war eine kleine Sensation. Wir kannten die Eigenschaften der fremden Welten fast auswendig und diskutierten in den Kaffepausen und Seminaren intensiv über jeden einzelnen von ihnen.
Es gab zuerst fast jeden Monat neue Entdeckungen; später dann fast jede Woche. Irgendwann waren so viele Planeten bekannt, das man kaum mehr den Überblick behalten konnte. Nach meinem Diplomstudium begann ich selbst an der Erforschung der fremden Planeten zu arbeiten und konnte meine Studienobjekte aus einer Liste von mehr als 100 Himmelskörpern wählen.
Als ich nach meiner Dissertation an der Universität Jena als Wissenschaftler zu arbeiten begann, erregten neu entdeckte Planeten fast keine Aufmerksamkeit mehr. Die Liste der fremden Welten wuchs fast täglich und man diskutierte nur mehr über die spektakuläreren Funde. Im Jahr 2006 begannen die ersten Weltraumteleskope, nach extrasolaren Planeten zu suchen und wurden bald darauf in Massen fündig.
Am 22. Oktober 2013 enthielt die Liste der bekannten extrasolaren Planeten das erste Mal mehr als 1000 Einträge. Und kaum sechs Monate später hatte sich diese Zahl fast verdoppelt!
In nicht einmal zwei Jahrzehnten hat sich unser Weltbild komplett gewandelt. Jahrtausendelang haben wir Menschen uns gefragt, ob es anderswo im Universum auch noch Planeten gibt. 1995 gelang uns der erste Blick auf diese fremden Welten und heute sind sie fast schon zur Normalität geworden. Wir haben den Himmel tatsächlich völlig neu entdeckt und festgestellt, dass da draußen nicht nur unzählige Sterne sind, sondern auch ebenso unzählige Planeten.
Die Suche nach dem fremden Welten im Universum ist eine faszinierende Geschichte. Nach Jahrtausenden voller Spekulationen und nach Jahrzehnten voller Misserfolge haben wir nun innerhalb weniger Jahre auf diesem Gebiet mehr Fortschritte gemacht als irgendwo anders in der Astronomie im gleichen Zeitraum.
In meinem Buch “Die Neuentdeckung des Himmels” haben ich probiert, diese spannende Reise allgemein verständlich zu erzählen. Von den griechischen Gelehrten der Antike über die Theologen des Mittelalters bis hin zu den Forschern der Neuzeit haben die Menschen sich gefragt, ob unsere Welt die einzige Welt im Kosmos ist und wir seine einzigen Bewohnern. Wir haben heute das große Glück, genau in der Zeit zu leben, in der wir auf diese jahrtausendealten Fragen eine Antwort finden können. Den ersten Teil der Reise haben wir schon zurück gelegt. Die fremden Welten sind gefunden und das in einer Anzahl und Vielfalt, die jede Vorstellung sprengt. Ob es auf diesen Planeten irgendwo auch Leben gibt, werden wir im nächsten Abschnitt der Reise herausfinden. Und die Antwort wird diesmal keine Jahrtausende auf sich warten lassen. Wenn es irgendwo dort draußen Leben gibt, dann werden wir es schon in den nächsten Jahrzehnten finden!

Florian Freistetter

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Astronom Florian Freistetter stellt sein aktuelles Buch in der Zentralbibliothek vor.
Die Thesen des aktuellen Buchs von Florian Freistetter diskutiert Ralf Krauter mit dem Autor und dem DLR-Astronom Manfred Gaida am

Mittwoch, 26. März 2014, um 19 Uhr

in der Zentralbibliothek am Neumarkt.

Das Gespräch gehört zur Reihe „Wissenswert – Themen am Puls der Zeit”. Die Stadtbibliothek kooperiert bei der Veranstaltung mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Der Eintritt kostet im Vorverkauf sieben, ermäßigt fünf Euro. An der Abendkasse beträgt der Eintrittspreis acht und ermäßigt sechs Euro. Im Vorverkauf sind die Karten bei „Köln Ticket” im Internet oder telefonisch unter 0221/2801 erhältlich. Unter der Telefonnummer 0221/221-23939 nimmt die Stadtbibliothek auch Reservierungen entgegen.

Ein Jahr im Bett

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„Er sagte: ‚Es ist nichts zu essen da.’

‚Was zu essen gibt’s im Supermarkt’, sagte sie.”

Vermutlich kennt ihn jeder: den Traum, einfach im Bett liegen zu bleiben, die täglichen Pflichten vergessend sich rein dem süßen Nichtstun zu widmen.

Eva Beaver erfüllt ihn sich. Am Tag, an dem ihre 17jährigen Zwillinge von zu Hause ausziehen, geht sie mit dem Beschluss ins Bett, vorerst nicht mehr aufzustehen. Als Ehe- und Hausfrau tritt sie in den Totalstreik! Und tatsächlich schafft sie es, ein Jahr durch zu halten (Eva: „Ich will mich sortieren.”).

Ihr Verhalten ist so ungeheuerlich, dass es ihr komplettes Umfeld in Turbulenzen stürzt. U.a. ihren intellektuellen Gatten Brian (von Beruf Astronom), ihre mathematisch hochbegabten und durchgeknallten Kinder, ihre nervtötende Mutter sowie ihre Schwiegermutter.

Versuche, sie für verrückt zu erklären, scheitern. Die Medizin attestiert ihr Normalität (Eva: „Ich bin nicht krank. Ich ziehe mich zurück von der Welt…”).

Während sie über sich selbst und ihr Leben nachdenkt, versinkt alles im Chaos. Der Gatte, stellt sich heraus, hat seit 8 Jahren eine Geliebte. Mehr oder weniger gestörte Menschen bevölkern das Haus. Niemand scheut sich mehr, auch unangenehme Wahrheiten offen aus zu sprechen. Die Medien wittern eine Sensation. Eva bekommt Fans, die in ihr eine „Heilige” sehen. Das alles bringt sie nicht aus dem Schlafgemach („Ich mache Urlaub von meinem ich”).

Über 445 Seiten schafft Autorin Sue Townsend (bekannt auch durch ihre „Adrian-Mole”-Bücher) mit abgrundtiefem britischem Humor puren Lesespaß. Mühelos schlägt sie Bögen zwischen Kosmos und Küche, Astronomie und Apathie, Mathematik und Muße. Überzeugend bestätigt sie die Tatsache, dass wer nichts tut, auch nichts verkehrt machen kann. In diesem Sinne ist die Lektüre das perfekte Vergnügen für relaxte Feiertage.

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P.S.: Aus Bibliothekssicht müssen wir anfügen, das Eva in ihrem (für die Story nebensächlichen) Berufsleben als angelernte Bibliotheksassistentin gejobbt hat. Bei dieser Arbeit lernte sie auch ihren Ehemann Brian kennen. Er hatte von ihr einen bösen Brief bezüglich eines nicht zurück gegebenen Buches bekommen. Seine Begründung dürfte selbst für gestandene Bibliotheksmitarbeiter nicht alltäglich sein: „Ich werde [es] nicht zurückgeben […] weil es voll von theoretischen Fehlern und inhaltlichen Narreteien ist, dass ich es in den Soar [Fluss von Leicester] geworfen habe. Ich kann nicht riskieren, dass es meinen Studenten in die Hände fällt”.

P.P.S.: Aus nicht nachvollziehbaren Gründen wird aus Eva gegen Ende des Buches eine ehemalige „Bibliothekarin”. Ob das aufs englische Original oder die Übersetzung zurück zu führen ist, konnte nicht ermittelt werden. Wie auch immer ist Fakt, dass die Ausübung dieses Berufes ein abgeschlossenes Studium voraussetzt. Eva Bieber ist zwar Bücherfreundin und vielseitig interessiert, aber ansonsten gänzlich unakademisch gezeichnet.

Bei uns im Bestand:

Sue Townsend: Die Frau, die ein Jahr im Bett blieb. Berlin 2013. (Signatur:  U Townsend, Sue)

“Die unheimliche Bibliothek” saugt Dein Gehirn aus

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Da können wir nur froh sein, dass Haruki Murakami dieses Jahr wieder haarscharf am Literatur-Nobelpreis vorbei geschrammt ist. Denn sonst wäre sein druckfrischstes Buch auf Deutsch womöglich in aller Munde. So aber bleibt „Die unheimliche Bibliothek” vermutlich eher etwas für Fans des japanischen Autors und Bewohner von Bücherwelten.

 Als Letztere kommen wir nicht umhin, Stellung zu beziehen. Besonders weil in dieser Erzählung eine Stadtbibliothek die Hauptrolle spielt. Selten genug findet sie Erwähnung in der Weltliteratur. Umso gespannter ist man auf die Lektüre. Um es kurz zu machen: Diese „unheimliche Bibliothek” ist ein ziemlich übles Loch!

 Doch zunächst Entlastendes: das 63seitige Buch erschien erstmals vor acht Jahren in Japan und die Story spielt offensichtlich in grauer Internet-Vorzeit. Und der namenlose Jugendliche, aus dessen Perspektive sie erzählt wird, passt eher in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Damals war es in Büchereien noch „sehr still” und man ging dorthin, um etwas „herauszufinden”.

 Auf das, was unser Protagonist in der Stadtbücherei erlebt, wollen wir hier nicht eingehen. Das wäre interessierten Lesern gegenüber auch nicht fair, umfasst der reine Text doch gerade 39 Seiten. Die restlichen füllen düstere Illustrationen von Kat Menschik (die FAZ-Kennern ein Begriff sein dürfte). Zur „Bibliothek” nur soviel: sie entpuppt sich als unterirdischer Ort des Horrors, der Bibliothekar als gehirnaussaugender Zombie. Und unser jugendlicher Held steht in den Kerkern des Magazins Todesängste aus. Positive Signale gehen nur von dem (Murakami-Kennern geläufigen) Schafsmann und einem schönen Mädchen aus

Kein Wunder, das der Junge nach überstandenem Höllentrip, nie wieder eine Stadtbibliothek betreten möchte. Immerhin erlösen uns als Bibliotheksmitarbeiter die letzten Zeilen, die vermuten lassen, dass es sich es insgesamt nur um einen Albtraum in einer japanischen Einrichtung handeln kann.

 Zum Nachgrübeln verleitet uns der Schafsmann mit seiner Reproduktionstheorie des Geistes. „Alle Bibliotheken”, will er uns weismachen, saugen ihren Nutzern das „mit Wissen vollgestopfte” Gehirn aus, denn „sie müssen das Wissen, das sie verleihen, wieder ergänzen.”

Diese Erkenntnis müssen wir erstmal verdauen!

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P.S.: Eine originelle Rezension verfasste Kollege Gerald Schleiwies aus Salzgitter, dessen Phantasie uns in das Kellerlabyrinth seiner Stadtbibliothek lockt.

Haruki Murakami: Die unheimliche Bibliothek. DuMont Verlag, Köln 2013 (Bei uns unter der Signatur: U Murakami)

Philosophierende Radler: Erwarte das Unerwartete

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Ein philosophisches Buch steht bei uns unter der Signatur X (= Sport) im Regal? Der Titel „Die Philosophie des Radfahrens” lässt nicht zwingend schlussfolgern, dass die „Liebe zur Weisheit” dort gut aufgestellt ist. Jedoch – näheres Hinsehen bestätigt die Lektoratsentscheidung. Neun der 15 enthaltenen Essays befassen sich mit Radrennen und Nachdenklichkeit über Hochleistung bis hin zum Doping.

In drei weiteren Texten führen extreme Touren (ein Autor radelt täglich 22 Kilometer zur Arbeit nach Reykjavik) zu tieferen Erkenntnissen. Bleiben zwei eher verkehrpolitische Betrachtungen: eine über die Critical-Mass-Bewegung und eine über die Gründe, warum Kopenhagen, das Radlerparadies ist. Die Vertreibung aus Letzterem beklagt Maximilian Probst, der auf einem klappernden Holland-Rad durch die Stadt rollt. Ihm verdanken wir den Gedanken, dass wir durchs Strampeln, dem Treten in die Pedale, uns daran gewöhnen, den Körper aus eigener Kraft von A nach B zu befördern „immer auch, um ihn selbst zu bewegen, er ist nie nur ein Mittel (dafür da, um unseren Geist in die Bibliothek zu lotsen), er ist immer auch Zweck in sich. Das Fahrrad trägt dem Rechnung.”

Schön, dass da einer mal erkannt hat, wofür Bibliotheken gut sind und wie man sich ihnen nähern sollte!

Die erhellensten „philosophischen Lektionen” verpasst uns Steven D. Hales, Philosophie-Professor aus den USA, der sich neben so langweiligen Themen wie Erkenntnistheorie und Metaphysik mit den spannenderen Beziehungen zwischen Bier, Katze, Hund und Philosophie beschäftigt. Und mit dem Fahrrad, das ihm sechs deutliche Mahnungen erteilt.

Er schlägt den Bogen von Platon zur Pedale. Im Höhlengleichnis halten die Gefangenen die Schatten an der Wand für die Wirklichkeit. Philosophie holt uns aus der Höhle. Auf dem Fahrrad können wir heraus fahren. Hales schwingt sich auf den Sattel, völlig unerfahren wagt er sich auf 152 km bergiger Strecke. Nietzsche folgend, der meinte, dass nichts von Wert leicht zu erreichen sei. Bei einer anderer Tour überholt ihn Thoreau, der in „Walden” empfiehlt: „Warum sollen wir in solcher Eile, solcher Lebensverschwendung leben?” Am eigenen Leibe prüft Hales Argument für Argument. Etwa Descartes, für den Weisheit uns zum Herrn der Leidenschaften macht, auf „dass die Übel, welche sie bringen, sich leicht ertragen lassen.”

Setzt mit Hume dagegen, dass die „Vernunft nur Sklave der Affekte ist“. Stoiker Epiktets Ideal der Unerschütterlichkeit lässt ihn Stürze vom Rad unbewegt von Gefühlen ertragen. Wie Grübler Kierkegaard findet er gar Gefallen an Schwierigkeiten. Wiederum Hume bringt ihn davon ab, Erfahrungswerten zu trauen. „Erwarte das Unerwartete”, weissagt ihm diese die Lektion. Dabei lernt er viel über Einfallsreichtum und Selbstgenügsamkeit. Die letzte Etappe führt ihn nach Delphi und zur Freude an der Selbsterkenntnis.

Dies sind kleine Streifzüge aus 206 Seiten philosophischer Streckenführung, alle verbindend der Nietzsche-Rat, „keinem Gedanken Glauben zu schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung, – in dem nicht auch die Muskeln ein Fest feiern.”

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 P.S.: Für Herausgeber Peter Reichenbach „verändert Radfahren unsere Sicht auf die Welt”. Nektar saugen vermutlich eher die Radelnden aus diesem Buch. Wen es allerdings motiviert, die enthalten Weisheiten auf dem Drahtesel zu überprüfen, dem sei „Unerwartetes” garantiert.

 Die Philosophie des Radfahren. Mairisch Verlag 2013. Signatur: Xas Philosophie des

 Hier der komplette Text von Maximilian Probst.

Wie schwul sind die Simpsons?

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„Hinter den schwulen Lachern – Homosexualität bei den Simpsons“ heißt das jüngste Buch des Kölner Bibliothekars Erwin In het Panhuis, in dem er sich damit befasst, wie sich die Zeichentrickserie zu schwulen und lesbischen Themen (wie etwa der Homo-Ehe) positioniert. Der Verfasser stellt nicht nur viele Figuren mit ihrer recht flexiblen sexuellen Orientierung vor, sondern auch viele popkulturelle Referenzen. Die Simpsons vermitteln für ein Millionenpublikum ein typisch amerikanisches, aber untypisch aufgeschlossenes Bild von Schwulen und Lesben.
Wir befragten Erwin In het Panhuis zum Buch:
1. Wie kommt man darauf ein Buch über die schwulen Seiten der Simpsons zu schreiben?
Vor einigen Jahren fiel mir beim zappen auf, dass Schwule und Lesben oft vorkommen und dass dabei mit vielen popkulturellen Anspielungen gearbeitet wird. Und weil es in der Sekundärliteratur nur um Themen wie Medien und Politik geht, habe ich hier eine Forschungslücke gesehen.
2. Gibt es auch Familienmitglieder der Simpson die schwul / lesbisch sind?
Patty, die Schwester von Marge, ist lesbisch. Über viele Jahre gab’s nur Andeutungen, aber in einer Folge über die Homo-Ehe von 2005 hat sie ihr Coming Out gehabt. Sie ist eine derbe und laute Lesbe und das ist toll.
3. Welche schwul/lesbischen Figuren gibt es noch in der Serie?
Der Musiklehrer der Grundschule ist z.B. schwul und viele der Hauptfiguren haben eine recht flexible sexuelle Orientierung. Daneben habe ich noch rund 60 schwule und 10 lesbische Nebenfiguren näher betrachtet, die jedoch meistens nur einmal zu sehen sind.
4. Was sind Ihre Lieblingszenen und wo lachen Sie?
Ich mag diesen hintergründigen Humor. Wenn sich Fidel Castro darüber aufregt, welches Image die Castro-Street in San Francisco hat oder Marge fragt: “Wusstest Du, dass bisher jeder US-Präsident ein weißer, heterosexueller Mann war?”
5. Ist die Serie wegbereitend für mehr Toleranz?
Ja, aber nur indirekt. Sie setzt sich für gleiche Rechte ein, aber das wird durch das Mittel der Satire in subversiver und nicht moralisierender Form erreicht. Und diese indirekte Form finde ich sogar noch besser.
6. Was ist Ihr Fazit?
Ich finde es zwar schade, dass einzelne Themen wie Aids fast vollständig ausgeblendet werden, aber insgesamt ist der Humor in Bezug auf Schwule und Lesben intelligent, fair und sehr unterhaltsam.
Rund um den Globus ist das Buch schon aufmerksam besprochen worden, von den USA, über Russland bis Georgien.
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Im Rahmen von ColognePride dem zweiwöchiges Programm rund um den CSD Köln stellt Erwin In het Panhuis heute abend, 20 Uhr, im Café Duddel, Zülpicher Wall 8, sein Buch vor. Der Eintritt ist frei.
Erwin In het Panhuis: “Hinter den schwulen Lachern – Homosexualität bei den Simspsons” Verlag des Archivs der Jugendkulturen, Berlin 2013.
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Foto oben: Copyright Axel Bach

Design-Ikone in der Zentralbibliothek

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Eileen Gray war in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts die feminine Persönlichkeit des Art Deco. Die irische Designerin, Architektin und Freundin wie Nachbarin von Le Corbusier liebte das Leben und Licht an der Côte d’Azur. Zwischen 1925 und 1929 widmete sie sich ganz dem Bau ihres ersten Hauses (E.1027) an der Küste bei Menton. Beraten ließ sie sich dabei vom rumänischen Architekten und Herausgeber der wichtigen Architekturzeitschrift L’Architecture Vivante Jean Badovici. Und bei der Konzeption berücksichtigte sie Le Corbusiers Architektur-Prinzipien.

Mit dem Hausbau gelang ihr ein eigener Stil, der Freiheit und Geborgenheit vereinte. Äußeres und Inneres sah sie als homogene Ganzheit. Gekennzeichnet durch Geräumigkeit, fließende Übergänge und überraschende Gestaltungsideen, die sich ebenso praktisch wie originell erwiesen. Gleichzeitig zitierte sie mit Gestaltungselementen des Schiffbaus die Nähe zu Meer (u.a. Relings, Liegestühle bis hin zur Fahnenstange auf dem Dach).

Parallel entwarf sie Möbel speziell für dieses Haus. Tisch und Stühle, Schränke und Spiegel konnten mit leichten Handgriffen neue Funktionen erfüllen. Mit viel praktischer Phantasie begnadet fand sie ungewöhnliche ästhetische Lösungen. Dazu gehört der höhenverstellbare Glastisch von 1927, der mit „E 1027″ den gleichen Namen wie das Haus trägt und inzwischen als eine der beliebtesten Design-Ikonen des 20. Jahrhunderts gilt. Kompakt und funktional aus Stahlrohr und Glas, ursprünglich von ihr als Beistelltisch für Bettfrühstücker gedacht, lässt er sich bequem unter das Bett schieben und umgreift durch die Höhenverstellbarkeit der Tischplatte auch hohe Betten.Eileen_Gray

In der Zentralbibliothek finden sich auf den Etagen mehrere „E 1027″. Als praktische Beistelltische zu unseren Palladio-Sesseln laden sie dazu ein, sich mit dem Design von Eileen Gray zu beschäftigen.

 P.S.: Das Centre Pompidou in Paris widmete ihr kürzlich eine Ausstellung und als virtuelles Erlebnis wurde der Tisch zum Aushängeschild der Präsentation.

gp

Bei uns im Bestand:

Peter Adam: Eileen Gray. Architektin – Designerin. 1989.  Signatur: Gv Gray, Eileen  Adam

Bild unten: wikimedia commons

Zwei Pioniere des Bibliothekswesens

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Letzten Oktober wurde Ranga Yogeshwar in der Kölner Zentralbibliothek mit der Karl-Preusker-Medaille geehrt. Die Auszeichnung erinnert an den Beamten aus Sachsen, der in Großenhain 1828 die erste öffentliche Bibliothek Deutschlands begründete.  Auf dieses Ereignis bezieht sich seit 1995 auch der „Tag der Bibliotheken“.
Die vielschichtige Persönlichkeit dieses Bibliothekspioniers beleuchtet das Buch:  „Karl Benjamin Preusker. Archäologe – Reformer – Netzwerker“ (Sax-Verlag 2011), das die Städte Großenhain und Löbau sowie das Landesamt für Archäologie Sachsen gemeinsam herausgegeben haben. 17 Wissenschaftler befassen sich darin mit dem Leben und Wirken Preuskers.
Der Beitrag von Felicitas Marwinski behandelt die 185jährige Geschichte der Großenhainer Bibliothek. Preuskers Idee von einer „wahren Bürgerbibliothek“ fand großen Zuspruch, weil er „die Bedeutung der berufs- und praxisbegleitenden Fachliteratur erkannte“. Für ihn waren „Bibliotheken untrennbar mit dem Schul- und Bildungswesen verbunden.“ Mit seiner Bibliothekspraxis und -theorie löste Preusker eine Gründungswelle von öffentlichen Bibliotheken in Deutschland aus. Heute ist die Großenhainer Bücherei längst im Internet-Zeitalter ankommen. In ihr verbinden sich Moderne und Museales in einem denkmalgeschützten Gebäudekomplex.
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67 Jahre sollte es dauern, bis die erste Frau in Deutschland hauptberuflich in einer Bibliothek arbeitete. 1895 beginnt Bona Peiser mit ihrer Tätigkeit gleich in zwei Bibliotheken. Zur Hälfte in der „Ersten öffentlichen Lesehalle zu Berlin“, zur anderen in der „Bibliothek des Kaufmännischen und gewerblichen Hilfsvereins für weibliche Angestellte“.
Diplom-Bibliothekarin Frauke Mahrt-Thomsen aus Berlin hat sich akribisch auf die Suche nach den verschütteten Spuren der Pionierin begeben und in Sisyphos-Arbeit ihr Leben rekonstruiert. Ihre Biographie „Bona Peiser. Die erste deutsche Bibliothekarin“ (BibSpider 2013) rückt die „Wegbereiterin der Bücher- und Lesehallen-Bewegung“ sowie „die Frauenarbeit in Bibliotheken“ in ein erhellendes Licht. Insbesondere würdigt sie Bona Peisers Einsatz für hohe Ausbildungsstandards, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Einflussnahme auf Ausrichtung und Ziele der Bibliotheksarbeit. Das Buch, so die Verfasserin, will „einer geschlechtssensibleren Darstellung der Bibliotheksgeschichte endlich zum Durchbruch verhelfen.“ Mittlerweile tragen in Berlin eine Straße und eine Bibliothek den Namen der Pionierin.

gp

Beide Bücher sind im Bestand der Stadtbibliothek unter der Signatur Ark 9 (Peiser bzw. Preusker) zu finden.
Layout / Umschlag oben: Birgit Röhling.
Layout / Umschlag unten: Heidi Sorg & Christof Leistl