Ich lese gerade… Wolf Wondratschek

Klaus Bittner

Das Geschenk

Chuck, so hieß der Held in Wolf Wondratscheks legendärem Gedichtband „Chucks Zimmer“ aus dem Jahr 1974. Heute, im fortgeschrittenen Alter, blickt Chuck – Wondratscheks Alter ego – zurück auf sein Leben, auf vergebene Chancen und verpasste Gelegenheiten. Auf die 68er-Generation, Liebschaften, Drogen und die Bedeutung, die die Literatur für ihn hatte. Und auf das größte, wichtigste Geschenk, das er sich selbst gemacht hat, schaut er: seinen Sohn. Allerdings zeigt der 14 jährige die gleichen Symptome, die Chuck einst zum Rebellen werden ließen, er pfeift auf die elterlichen Wahrheiten und Ratschläge. Wie Chuck ist auch „das Arschloch der 80er“, wie Wondratschek sich einst selbst nannte, inzwischen altersweise geworden. Sein Ton ist behutsamer, seine Aussagen durchdachter, seine Prosa durchdrungen von Liebe zu seinem Sohn. Stellenweise sehr komisch, niemals kitschig, überhaupt nicht larmoyant, aber auch ein wenig traurig – so dürfen und müssen Erinnerungen sein. Wondratschek ist auf der Höhe seiner Kunst angekommen. Hanser Verlag, 17.90 €, 176 Seiten
 
 
 

Den Roman finden Sie in der Zentralbibliothek unter „U Wondratschek, Wolf “.

Ich lese gerade…

Klaus Bittner

William Faulkner, Licht im August

Was ist das, das einen veranlasst, ein Buch noch einmal zu lesen? Nach 25 Jahren. Man erinnert sich noch genau  an die Begeisterung, an all die körperlichen Reaktionen wie Hitze, Schwitzen, Atemlosigkeit und Fassungslosigkeit, wenn das Buch zu Ende ist und man erschöpft, aber auch erleichtert zurück bleibt. Und dass das gar nicht so häufig passiert in einem Leseleben. Aber dies gerade der Maßstab ist, den man eigentlich erwartet, immer wiederzufinden; bei jedem neuen Buch, bei jeder neuen Lektüre. Und ständig enttäuscht wird von der ewigen Flut an belanglosen Neuerscheinungen, die uns unterhalten und das ist ja immerhin auch schon etwas. Die uns allen aber als Sensation, als Jahrhundertbuch vom Markt der Verlage und des Feuilletons angepriesen werden. Und dann erscheint die Neuauflage dieses wirklich großen Jahrhundertsromans in einer neuen Übersetzung. Und du erinnerst dich wieder, schleichst drum herum, nimmst es endlich in die Hand und mit nach Hause und du bist für 3 Tage und Nächte verdorben für den Buchalltag. Und alles wiederholt sich. Und du bist wieder in Yoknapatawpha County in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderst, diesem Nest in Mississippi. Hitze, Staub, Dreck setzen die Poren zu, der Lärm des Sägewerks dröhnt in den Ohren. Die schwangere, obdachlose Lena Grove trottet  wie die Jungfrau Maria eine schier endlose  Landstrasse entlang auf der Suche nach dem Vater ihres Babys. Und allmählich werden alle Figuren Faulkners lebendig. Byron Bunch, der in Lena verliebt ist. Pastor Gail Hightower, dessen Frau auf mysteriöse Weise umgekommen ist und deshalb sein Amt niedergelegt hat. Joe Christmas, Arbeiter im Sägewerk, der eines Mordes beschuldigt , fliehen muss. Percy Grimm, der hasserfüllte Rassist. Und wie Faulkner die Handlung vorantreibt, immer wieder unterbrochen durch Rückblenden, ist meisterhaft. Armut, Bigotterie, religiöser Fanatismus, Rassismus des Südens prallen aufeinander in einem fulminanten Höhepunkt. Nur Lena Grove, mit ihrem ungeborenen Kind im Leib, zieht weiter, begleitet von Byron Bunch, nach Tennessee.

William Faulkners ‘Licht im August’ finden Sie in der Zentralbibliothek auf der 2. Etage (Signatur: U Faulkner, William).

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Klaus Bittner

Ricardo Piglia, Ins Weiße zielen

„In meiner Familie werden die Männer verrückt, sobald sie Väter sind.
Sieh dir meinen Vater an: Er hat seine Zweifel nie besiegen können. Er
wusste nur, dass er der Vater meines älteren Bruders war, und Lucio war
der Einzige, der ihm seine Wünsche erfüllte, außer bei der Wahl seiner
Frau.“

Erst jetzt fiel Renzi auf, dass sie in immer kürzeren Abständen ins Haus
ging. Wieder verschwand sie, und er konnte sehen, wie sie sich über
einen Glastisch beugte.

„Was machst du da?“, fragte er sie.
„Ein bisschen Salz“, antwortete sie grinsend, während sie sich einen
zusammengerollten Hundert-Peso-Schein in die Nase steckte und sich
erneut über den Tisch beugte.

„Sieh einer an, die Mädchen vom Dorf. Lässt du mich auch eine Linie
ziehen?“


In seinem neuen Roman entführt uns Ricardo Piglia in die trügerische
Ruhe der argentinischen Provinz. Während alle Welt glaubt, der schwule
Japaner Yoshio habe den Ausländer Durán getötet, entwickelt Kommissar
Croce mit Hilfe des aus Buenos Aires angereisten Journalisten Renzi
seine eigene Theorie: Waren es wirklich nur die körperlichen Reize der
Zwillingsschwestern Ada und Sofía Belladona, die Durán in die Pampa
gelockt haben? Was hatten deren Vater und Bruder, die Besitzer der
hiesigen Fabrik, mit dem Opfer zu schaffen? Piglia bietet alles auf, was
das Genre des Krimis ausmacht. Nichts ist so, wie es scheint.
Empfohlen von Klaus Bittner, Buchhandlung Klaus Bittner GmbH
Den Titel finden Sie in der Zentralbibliothek auf der 2. Etage (Signatur: U Piglia, Ricardo)!

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