Wie gut inzwischen die Sonntagsöffnung der Zentralbibliothek und das dazugehörige Kultur-Programm angenommen wird, zeigen beispielhaft Eindrücke zweier Tage, aufgezeichnet von einem Mitglied des Sonntagsteams, das an diesen Tagen im Einsatz ist. Gefördert werden diese Inhalte durch das “Programm zur Stärkung der Sonntagsöffnung in Bibliotheken” (ProSib) des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
21. August, 14:00: An der Absperrung vor dem Lesesaal tauchen im Minutenabstand ältere Damen und Herren auf und fragen, ob hier wirklich gleich Jürgen Becker auftreten werde, und ob man noch reinkäme ohne Vormerkung, oder ob man wirklich keine Tickets benötige. Die Fangemeinde des Kölner Kabarettisten kann es kaum glauben, ihr Idol in einer Stunde bei freiem Eintritt erleben zu dürfen. Jürgen Becker soll in seiner gewohnt scharfzüngigen und witzigen Art über die Marktwirtschaft der Zukunft referieren, und was wir tun müssen, außer möglichst angstfrei nach vorn zu blicken, damit wir die Krisenzeiten überwinden können.
40, 50, 60 Personen versammeln sich in der kommenden dreiviertel Stunde, eigentlich sollte jetzt der Einlass beginnen. Nur, Jürgen Becker ist noch nicht aufgetaucht. Hinter den Kulissen beginnt hektische Telefoniererei mit dem Management, die Besucher*innen werden per Durchsage auf dem Laufenden gehalten.
*DING DONG* „Liebe Gäste, wir sind gerade noch auf der Suche nach Jürgen Becker, nehmen Sie aber bitte schon mal Platz und machen Sie es sich gemütlich. Sobald wir ihn gefunden haben, geben wir Bescheid.“
Um kurz nach drei taucht er endlich auf, entschuldigt sich charmant. Er habe gedacht, er müsse zur Bibliothek in der Südstadt, also der in seinem Veedel, und habe sich dann gewundert, dass dort niemand war. Schnell wird er verkabelt mit dem Headset, nun kann es losgehen mit der Marktwirtschaft!
„Wir sitzen ja gerade in dieser schönen Bibliothek mitten In Köln beisammen, und deswegen habe ich euch heute meine fünf Lieblings-Bücher aus und über Köln mitgebracht, die ich euch vorstellen möchte.“ Ehm, Herr Becker? Ach, ejal, der Mann ist Profi, der kann zu allem kluge und witzige Sachen sagen. Nach der Top 5 dreht er auch nochmal richtig auf und wird (lokal)politisch kreativ:
„Wohnungsnot in Köln? Schauen Sie, die katholische Kirche besitzt in dieser Stadt so viele Immobilien, wenn sie nur einen Teil davon zur Verfügung stellen würde, gäbe es das Problem nicht mehr. Am besten fangen die mit dem Kölner Dom an. Ein paar Mauern eingezogen, Raufaser und Farbe an die Wände, das wirkt Wunder.“
04. September, 14:30: Der Bühnenwald für das Monster Grüffelo und die Maus, das Eichhörnchen, den Fuchs, die Eule und die Schlange steht bereits. Puppenspieler Andreas Blaschke und sein Assistent vom Kölner Figurentheater haben sich für einen kurzen Happen vor dem Auftritt zurückgezogen. Da die Aufbauten mit den bemalten Leinwänden weit in den Raum ragen, können wir nur 110 Stühle aufstellen, aus Sorge um die Sicherheit durch potentiell umstürzende Scheinwerfer können keine Sitzkissen – wie sonst für die Kids – vor der Bühne verteilt werden. Doch am Einlass wächst die Wand mit Eltern, Kindern und Kinderwagen, wie eine schwarze Gewitterfront an. Innerhalb von Minuten sind alle Plätze belegt, noch immer stehen rund 50 Zaungäste wider Willen am Eingang und schauen ganz traurig…
*DING DONG* „Liebe Eltern, wir haben heute sehr viele Fans des Grüffelos zu Besuch, aber nicht genügend Plätze für alle. Sollten Sie Ihr Kind für die Dauer der Vorstellung allein im Saal lassen können und damit Platz für weitere Kinder schaffen, wäre das wunderbar.“
Der Ruf wird erhört. Da auch die Sauerstoffversorgung im warmen Saal verbesserungsbedürftig ist, öffnen wir schnell noch die Glastüren nach draußen. Cooler Nebeneffekt: Die Eltern können so von zwei Seiten den Nachwuchs samt Bühne im Auge behalten. Zwischendurch heißt es „Vater, verzweifelt gesucht“, ein Kleiner mit frechem Grinsen und enormer Energie, flitzt ständig zwischen Eingang und Stuhlreihen in Richtung Bühne und hält uns ordentlich in Trab.
Die Story in Kurzform: Eine Maus trifft im Wald das Eichhörnchen, das ihm verspricht, den Weg zum Haselnussbaum zu weisen. Hungrig sind auch Fuchs, Eule und Schlange, die die Maus fressen wollen. Die denkt sich ein grässliches Monster aus, den Grüffelo, um nicht als Mahlzeit zu enden. Und dann taucht plötzlich der Grüffelo tatsächlich auf. Der – nebenbei bemerkt – ein erstaunlich breites Kölsch spricht.
Kinder sind ein dankbares und großartiges Publikum, auch heute. Ohrenbetäubendes Gequietsche, wenn sie die Maus warnen. Die Songs zur Story können sie sowieso mitsingen und ein Junge neben mir grüßt lautstark, als sein Lieblingstier den ersten Auftritt hat: „Halloooo, Eule!“ Die Eule macht „Hu Huu“. Nach dem Happy End gibt es viele fröhliche Gesichter. Der Puppenspieler schaut erschöpft, er hat halt nur zwei Arme für sechs Handpuppen. Abbau, der Bühnenraum wird wieder zum Lesesaal, die letzte Stunde des Sonntags in der Zentralbibliothek bricht an…
*DING DONG* „Liebe Gäste, wir schließen in fünf Minuten. Einen guten Start in die neue Woche! Danke, dass Sie heute hier waren, bis zum nächsten Sonntag…“
Verfasst von Christian Scheuß